Neues aus der Nuklearmedizin

Novartis zähmt die Kernkraft und setzt sie zur Behandlung von fortgeschrittenem Krebs ein

Jun 15, 2021

In den späten 1800ern, als Menschen noch in Pferdekutschen reisten und ihre Häuser mit Kerzen beleuchteten, wurde die Kernkraft entdeckt: Elemente wie Uran und Radium, die unsichtbare Energiestrahlen aussenden - radioaktive Strahlung.

Diese hochenergetische Strahlung hat auch die Kraft, Krebs zu therapieren. Allerdings dauerte es noch Jahrzehnte bis man die Strahlung sicher in der Krebstherapie anwenden konnte.

Jetzt gibt es eine neue Form der Strahlentherapie: Die zielgerichtete Radioligandentherapie macht sich die Kraft radioaktiver Isotope zunutze und gibt die Strahlung direkt an Krebszellen im Körper ab. Da Nuklearmedizin großes Potential für zukünftige Krebstherapien aufweist, investiert Novartis in diese neue Therapieform.

Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Strahlung für die Medizin nutzbar zu machen: Sie lernten, Strahlen zu bündeln und so Krebsherde zu behandeln. Computergesteuerte Therapien konnten das Tumorgewebe genauer eingrenzen und so die Schäden an gesunder Haut und Gewebe in der Umgebung verringern. Diese Methode eignet sich vor allem, um Tumore zu behandeln, die sich noch nicht im Körper ausgebreitet haben.

Die Radioligandentherapie hingegen hat den Vorteil Strahlung präzise an Tumorzellen abzugeben, auch wenn sich diese im Körper ausgebreitet haben. Daran sind zwei Hauptkomponenten beteiligt: ein radioaktives Atom und ein tumorspezifisches Molekül.

Das tumorspezifische Molekül ist wie ein Puzzleteil, das zum passenden Puzzlestücken auf der Oberfläche von Krebszellen passt. Diese beiden Oberflächenmoleküle schnappen wie zwei Puzzlestücke zusammen, wenn das tumorspezifische Molekül in der Nähe der Krebszelle ist. Die chemischen Puzzlestücke passen nur selten zu Oberflächenmolekülen auf gesunden Zellen, so dass gesunde Zellen nicht durch die Strahlung geschädigt werden.

"Wir sind in der Lage, die Strahlung an ein kleines Stückchen Krebs irgendwo im Körper abzugeben, weil wir den Hunger des Krebses nach tumorspezifischen Molekülen ausnutzen", sagt Chris Leamon, ein Experte für nuklearmedizinische Arzneimittelforschung bei Novartis.

Die Forschenden haben derzeit nur für einige wenige Krebsarten passende Puzzlestücke, weshalb die Auswahl an zugelassenen und experimentellen Radioligandentherapien begrenzt ist. Leamons Team und andere Forscherinnen und Forscher von Novartis arbeiten daran, mehr dieser passenden Puzzlestücke zu entdecken. So wollen sie den Einsatz der gezielten Radioligandentherapie auf weitere Krebsarten ausweiten.

Nutzung der Kernkraft

Das radioaktive Atom - das im Mittelpunkt der zielgerichteten Radioligandentherapie steht - gibt Energie ab und hat ein paar spezielle Eigenschaften:

Diese Atome haben die Fähigkeit, Krebszellen zu zerstören. Die zerstörerische, radioaktive Energie dieser Atome wirkt so, als würde man die lebenswichtige Maschinerie einer Tumorzelle mit Steinen bewerfen und sie zum Zerbröckeln bringen. Da diese Energie nicht weit strahlt, wird die Tumorzelle gezielt zerstört und das umliegende Gewebe geschont.

Werden im Rahmen einer Radioligandentherapie viele solcher radioaktiver Liganden in den Blutkreislauf einer Patientin oder eines Patienten gebracht, umhüllen diese radioaktiven Atome den Tumor und können so mit vereinten Kräften den Tumor stark schädigen.

"Sobald eine Tumorzelle eine Schwelle der Schädigung erreicht, gibt sie einfach auf und stirbt", sagt Leamon.

Mit Nuklearmedizin den Krebs entlarven

Die Nuklearmedizin wird auch in der Krebsdiagnostik verwendet: Die tumorspezifischen Moleküle docken an den Krebs an und geben über die radioaktive Komponente Gammastrahlen ab. Diese spezielle Strahlung kann von bildgebenden Geräten erkannt werden und zeigt an, wo im Körper sich Krebszellen befinden.

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Bild von Michael Hofman mit freundlicher Genehmigung von Journal of Nuclear Medicine. Animation von Fidelis Onwubueke

Konnte mittels dem tumorspezifischen Liganden Krebs in der Patientin oder im Patienten diagnostiziert werden, kann die gleiche tumorspezifische Komponente für die Radioliganden-Therapie verwendet werden.

Diese "see it, treat it"-Fähigkeit ermöglicht es den Ärzten, das richtige Medikament für die spezifische Krebsform der Patientin oder des Patienten zu wählen. Darüber hinaus können zukünftige Scans den Ärztinnen und Ärzten helfen festzustellen, ob das Medikament bei fortschreitender Behandlung wirkt.

Eine tragende Säule

Im Jahr 2018 erwarb Novartis Advanced Accelerator Applications: Das französische Unternehmen Pionierarbeit im Bereich der Radioligandentherapie geleistet und herausgefunden, wie radioaktiver Atome gezielt in der Radioligandentherapie eingesetzt werden können. Bald darauf folgte der Kauf von Endocyte, das neuartige Ansätze für gezielte Therapien gegen Krebs verfolgte.

Die beiden Teams arbeiten nun gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen von Novartis daran, das Spektrum von mit Radioliganden therapierbaren Krebserkrankungen zu erweitern. Sie führen auch klinische Studien durch: Sie sollen zeigen, wie Patientinnen und Patienten auf die Radioligandentherapie ansprechen.