Glücklich, zu leben

Nachdem bei ihr eine aggressive Form der Leukämie diagnostiziert worden war, besiegte Ilana Massi das Schicksal – mithilfe von Freunden und Familie.

Apr 16, 2018

Nachdem bei ihr eine aggressive Form der Leukämie diagnostiziert worden war, besiegte Ilana Massi das Schicksal – mithilfe von Freunden und Familie.

Plötzlich, an einem Abend im Oktober 2014, fühlt sich Ilana Massi krank und schwach und bekommt Fieberschübe. Eigentlich will sie mit ihrem Mann Bob zu einer Sportveranstaltung aufbrechen. Daraus wird nichts. Stattdessen fahren beide ins nächste Krankenhaus. Als sie die Ergebnisse ihres Blutbilds sieht, braucht sie als gelernte Krankenschwester keinen Arzt für Erklärungen. Sie sieht Bob nur an und sagt: „Das sind Leukämie-Werte.“

„Bitte keine AML, bitte keine AML!“ Das schießt ihr als Nächstes durch den Kopf. Als Frau vom Fach weiß sie viel über die akute myeloische Leukämie, vor allem aber, dass es sich um die Leukämie mit der niedrigsten Überlebensrate handelt.1 Bei der AML produzieren die „Blutfabriken“ im Knochenmark große, bösartige Zellen, so zahlreich, dass deren schiere Masse alle gesunden Blutzellen verdrängt. Und das atemberaubend schnell.2 So schreitet die Erkrankung rasch voran. Obwohl die biomedizinische Forschung die AML immer besser versteht, hat fünf Jahre nach der Diagnose gerade mal ein gutes Viertel der Patienten überlebt.3

Lange, anstrengende Reise

Ilanas schlimmste Befürchtungen werden wahr. Schnell erhält sie eine hoch dosierte Chemotherapie. Man hofft, so die Flut der bösartigen weißen Blutzellen einzudämmen – und ihr Leben zu retten. „Sie dachten, dass ich die erste Woche der Therapie nicht überlebe“, sagt Ilana Massi.

Doch sie überlebt. Damit beginnt eine lange und anstrengende Reise: Ilana muss fünf volle Monate im Krankenhaus verbringen. Dort werden ihr die Blut-Stammzellen eines Spenders transplantiert. Der Beginn eines zweiten Kampfes ums Überleben mit zwei Zielen: Ihr wieder gesundes Blut zu schenken – und zu verhindern, dass die körperfremden Zellen ihre Organe angreifen. Doch beängstigend regelmäßig tauchen lebensbedrohliche Probleme auf.

„Ich bin fast verrückt geworden“

Ilana, die seit vielen Jahren in der Pharmaindustrie arbeitet, versteht, was auf sie zukommt. Sie weiß auch um die Gefühle der Patienten in solchen Situationen: um die Trauer, die Kraftlosigkeit, den Zorn und die Sorge. Allein: Das Wissen kann nicht verhindern, dass genau diese Gefühle in ihr losbrechen. „Ich bin fast verrückt geworden“, erinnert sie sich, „ich dachte, ich würde meinen Enkel nicht kennenlernen.“

Ihre Stimme zittert, als sie von der Angst und von den Schmerzen erzählt, aber auch von der Unterstützung, die sie bekommen hat. Ihre Familie, ihre Freunde, Ärzte und Pflegerinnen haben sie durch die bittere Zeit getragen. Deren Zuneigung geht weit über das Schreiben von E-Mails hinaus: Sie spenden ihr Blut. Ilana weiß meist, von wem die nächste Transfusion kommt. Und die nächste und die nächste.

200 Bilder der Freunde als Hoffnung

Weil sie wissen, dass Ilana sich einsam und erschöpft fühlt, malen mehr als 200 Freunde und Bekannte ihre Gesichter auf Pappteller. Auch ihre Kollegen von Novartis beteiligen sich. Ilana klebt alle Bilder an die Wände ihres isolierten Zimmers. Die Gesichter lächeln sie an. So weiß sie: Sie ist nicht allein. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gut mir das getan hat“, sagt sie heute.

Weil sie wissen, dass Ilana sich einsam und erschöpft fühlt, malen mehr als 200 Freunde und Bekannte ihre Gesichter auf Pappteller.
Weil sie wissen, dass Ilana sich einsam und erschöpft fühlt, malen mehr als 200 Freunde und Bekannte ihre Gesichter auf Pappteller.

Der Kampf um ihr Leben hat sie verändert. Immer hatte die Powerfrau alles im Griff, mit großer Kraft. Jetzt hat sie weniger Energie. Ihr Sohn Evan stellt fest, wie sehr sie sich heute über Kleinigkeiten freut, über die speziellen Momente menschlichen Miteinanders. Er erinnert sich an das erste Familienessen nach der Transplantation. „Sie sah sich viel um im Raum, hat ihn fast aufgesaugt“, sagt er, „es war so, als ob sie ihr Dasein in der Welt unermesslich genossen hätte.“

Der passende Spender – die Entscheidung über Leben und Tod

Ilana Massi hilft nun auch den mehr als 20.000 Menschen, die in den USA jedes Jahr die Diagnose AML bekommen.4 In Deutschland erkranken alljährlich rund 3.000 Menschen daran.5 Ilana engagiert sich in einer Patientenorganisation und gibt Informationen an jene weiter, die neu diagnostiziert werden. Ihr liegt sehr viel daran, über die Patientenlobby für die Erforschung neuer Medikamente gegen die AML zu werben.

Und sie will ein Bewusstsein für diese Erkrankung schaffen, damit sich mehr Menschen in Dateien für Stammzellspender eintragen. Denn einen Spender mit passenden Gewebemerkmalen zu finden, entscheidet bei AML-Patienten oft über Leben und Tod. Bei Ilana ist es im Januar 2015 nicht anders. Die Stammzellen ihrer Geschwister passen nicht zu ihren Gewebemerkmalen. Und im gesamten weltweiten Register kommen überhaupt nur sieben potenzielle Spender infrage.

Doch die Zeit drängt, denn Ilanas AML kann nach dem Erfolg der ersten Chemotherapie jederzeit wieder ausbrechen. Dann wäre es zu spät für eine Stammzelltransplantation. Glücklicherweise passt einer der potenziellen Spender – fast – perfekt. „Fast“ bedeutet ein erhöhtes Risiko, dass die Zellen des Spenders Ilanas Körper später angreifen könnten. Dennoch entscheiden sich Ärzte und Patienten für den Eingriff. Schon nach mehreren Tagen produzieren die Stammzellen des Spenders in Ilanas Knochenmark gesundes Blut.

20 Medikamente täglich

Ein paar Monate später heißt Ilana Massi endlich ihren neugeborenen Enkel willkommen. „Das hat ihr enorm geholfen“, erinnert sich Ehemann Bob. Diese Hilfe ist auch nötig, denn Ilanas Leben ist anders als zuvor. Täglich nimmt sie 20 Arzneimittel ein, die vor allem verhindern sollen, dass die fremden Stammzellen die Zellen ihres Körpers angreifen und zerstören. Ilana ist oft schnell erschöpft, hat Haut- und Magenprobleme. Ihr Haar hat aufgehört nachzuwachsen.

Ilanas Wunsch: dass eines Tages neue Medikamente den Patienten die Stammzelltransplantation ersparen können. Sie ist glücklich, dass sie lebt – und ihrer Familie und ihren Freunden näher ist als je zuvor.

Quellen:

  1. Deschler B, Lübbert M. Acute myeloid leukemia: epidemiology and etiology. Cancer. 2006; 107(9):2009-2107.
  2. National Institutes of Health (NIH), National Cancer Institute (NCI). Adult Acute Myeloid Leukemia Treatment (PDQ®) http://www.cancer.gov/types/leukemia/patient/adult-aml-treatment-pdq. Accessed June 1, 2017.
  3. National Institutes of Health (NIH), National Cancer Institute (NCI). Cancer Stat Facts: Acute Myeloid Leukemia (AML). https://seer.cancer.gov/statfacts/html/amyl.html. Accessed June 1, 2017.
  4. Siegel RL, Miller KD, Jemal A. Cancer statistics, 2017. CA Cancer J Clin. 2017; 67:7-30.
  5. Visser O, Trama A, Maynadié M et al. (RARECARE Working Group). Incidence, survival and prevalence of myeloid malignancies in Europe. Eur J Cancer. 2012; 48(17):3257-3266.
  6. https://www.kompetenznetz-leukaemie.de